Der weibliche Blick auf die Stadt - oder: einfach nur eine "Stadt für Alle"?
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Der weibliche Blick auf die Stadt - oder: einfach nur eine "Stadt für Alle"?

Genderinklusion im Städtebau



Wer versucht, die Begriffe „geschlechtergerechte Stadt“ und „feministische Stadtplanung“ in ein plastisches Abbild zu überführen, denkt womöglich zunächst an Frauenparkplätze. Dass dies tatsächlich einen Versuch darstellt, das Parkraummanagement den Bedürfnissen (junger) Frauen bzw. Müttern anzupassen, ist unbestreitbar. Doch genau so, wie die Freihaltung gesondert ausgewiesener Plätze oftmals an mangelnder Solidarität und Rücksichtnahme scheitert, ist Voraussetzung eines an weibliche Bedürfnisse adaptierten Stadtraumes die vorausgehende Sensibilisierung der breiten Bevölkerung.


Doch was genau sind „weibliche Bedürfnisse“? Um eine Differenzierung vorzunehmen, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Die wiederaufzubauenden Städte der Nachkriegszeit folgten, unter dem Eindruck der Charta von Athen, dem Leitmotiv der Funktionalität. Stadtplaner und Architekten segregierten den urbanen Raum in voneinander getrennte Bereiche: Wohnen – Einkaufen – Arbeiten – Freizeit. Einfamilienhäuser und Wohnblöcke entstanden zumeist an der städtischen Peripherie, während die Arbeitsplätze im Ortsinneren angesiedelt wurden – dazwischen erheben sich seit den 1970er Jahren große Einkaufszentren. Für München sind exemplarisch das Olympia-Einkaufszentrum oder das Pep-Neuperlach zu nennen, jeweils in unmittelbarer Nähe zu den (ehemals landwirtschaftlich genutzten) Siedlungsgebieten Hasenbergl, Feldmoching und Neuperlach.


Den modernistischen Ambitionen der Planer unterlag jedoch ein „von Männern für Männer“- Duktus, welcher - entfernt von Lebensrealitäten - bis in die heutige Zeit hinein wirkt: Bürgersteige sind zu schmal, um Kinderwägen problemlos rangieren zu können, Ampelphasen sind zu kurz, um die Straße rechtzeitig mit Kind & Kegel zu überqueren. Den Verantwortlichen fehlte oftmals der Weitsinn, um öffentliche Plätze, Unterführungen oder Straßenecken gut einsehbar und ausreichend hell zu gestalten. Angsträume entstehen insbesondere nachts, wenn sich Frauen beobachtet fühlen, nicht einschätzen können, wer sich hinter der nächsten Straßenbiegung aufhält, oder sich auf dem Weg nach Hause dunkle Seitenstraßen öffnen. Der ÖPNV kommt den Anforderungen einer geschlechtergerechten Beförderung ebenfalls nicht nach: Haltegriffe sind, wie Module in vielen öffentlichen Gebäuden, zu hoch angebracht, der Platz für Kinderwägen oder Kinderfahrzeuge ist zu knapp bemessen. Weit verbreitet besteht Unsicherheit seitens Frauen und Mädchen, wenn diese abseits der Stoßzeiten vergleichsweise leere Beförderungsmittel benutzen müssen. Erwähnenswert ist, dass die Mehrheit der Autofahrer männlichen Geschlechts ist (im Männer-Frauen-Verhältnis ca. 60:40), was verkehrstechnische Defizite noch stärker zu Tragen kommen lässt. Die Kinderschutzorganisation Plan International initiierte das Projekt „Safer Cities Map“ in welchem persönliche Erfahrungen von NutzerInnen Eingang in Übersichtskarten finden – auch München existiert ein Plan, welcher Nachbesserungsbedarf veranschaulicht. Weitere Aspekte geschlechtsangepassten Planens betreffen Freizeitaktivitäten im städtischen Raum und Fragen der Hygiene. Öffentlich zugängliche Frauen-Toiletten sind Studien zufolge öfter defekt als Anlagen für Männer, nicht absperrbar oder unzureichend ausgestattet.


Gender Planning, zu Deutsch ‚(geschlechter-) inklusive Stadtplanung‘, etablierte sich als wissenschaftliche Disziplin in den 1970er Jahren, vor dem Hintergrund der zweiten Welle der Frauenbewegung. Den öffentlichen Diskurs bestimmt der Fachbereich maßgeblich seit den 1990er Jahren, als empowerment (die soziale, ökonomische und politische Bestärkung von Frauen) und gender mainstreaming (die Konzeption und Implementierung geschlechterinklusiver Programmatik) zum festen Bestandteil internationaler und nationaler Politik avancierten. Der Münchener Stadtrat setzt die vor Jahrzehnten begonnene Diskussion zur geschlechtsspezifischen Anpassung des öffentlichen Raumes fort. 1991 gründete sich die Kommission „Frauen in der Stadt“, welche frauenspezifischen Belange im Städtebau als kommunales Gremium kanalisiert. Im Februar 2021 wurde, auf Initiative der regierenden Fraktionen, eine neue Direktive in der Verkehrsplanung angestoßen, welche auf die Interessen von Frauen und körperlich eingeschränkten Verkehrsteilnehmern eingeht. Die Vorwürfe der Opposition, dadurch bestehende Rollenbilder zu verfestigen, sind angesichts des Nutzengewinns für alle Akteure im urbanen Raum zu vernachlässigen. Kurzum: Ob der Kinderwagen von einer Frau, einem Mann, oder eine/r Transgender geschoben wird – der Platzbedarf bleibt letzten Endes unverändert.


Wien gilt als Vorreiter in punkto feministischer Stadtplanung, so gibt es seit den 1980er Jahren eine städtische Abteilung für geschlechtssensibles Bauen und Gestalten. Der zeitliche Vorsprung äußert sich durchaus positiv, wie Initiatorin und Wiener Stadtplanerin Eva Kail in einem Interview mit dem NDR erklärt. Die Stadt schaffe „Viertel für Alle“, „Was man hier sehr schön sieht, ist auch eines der Gestaltungsprinzipien: Dass Wegerelationen, sogenannte Wunschgehlinien direkt in der Parkplanung aufgenommen werden. Wenn ich einen Park durchqueren muss, dass ich dann auch wirklich den direkten, geraden, gut ausgeleuchteten Weg anbiete. Dass ich für die Hauptwege Übersichtlichkeit habe." Spielplätze müssen in (Sicht-)Nähe zu Wohnungen liegen, um Familien eine bessere Alltagsinfrastruktur zu bieten. Für optimale Resultate im urban planning stehen Fußgänger, ansässige Geschäftsleute, Obdachlose in einem Austauschprozess mit den Stadtplanern und äußern etwaige Ängste und Vorschläge. Um alle BürgerInnen, vor allem Zugezogene bzw. jene mit Migrationshintergrund, zu erreichen, werden AnwohnerInnen gezielt befragt, Workshops vor Ort organisiert und Betroffene zusätzlich in digitale Formate eingebunden. Obwohl in der Planungsphase zeitintensiver, machen sich gendergerechte Vorhaben während des Projektzyklus bezahlt –Kosten für Vandalismus sinken, Ältere und jüngere Menschen bewegen sich unabhängiger im urbanen Gebiet, Familie und Beruf sind besser vereinbar. Zeitgleich zum Kurswechsel in der Wiener Stadtplanung begann Claudia Schreiber, die Neugestaltung von urbanen Räumen zu begleiten. „Eine optimierte Durchwegung von Ortskernen, großzügige Aufenthaltsflächen mit Sitzgelegenheiten, Wasserspiele und Spielplätze, breite Fußwege und Mischflächen zur Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer – das sind tatsächlich solide Mittel, um Städte gerechter zu strukturieren“, präzisiert die Architektin.


Die ‚Stadt für Alle‘ – sie könnte bald Geschichte schreiben.


Quellen:
Groll, T. (2021): "Wir müssen das Dorf zurück in die Stadt bringen". In: Die Zeit, https://www.zeit.de/mobilitaet/2021-02/stadtplanung-wien-eva-kail-gender-planning-frauen (erschienen am13.02.2021).


Platzer, M. (2016).: Ende eines Dogmas. Die Funktionale Stadt revisited. In: dérive Nr.63 (Apr-Jun. /2016)., online verfügbar unter https://derive.at/texte/das-ende-eines-dogmas-die-funktinoale-stadt-revisited/.


Redl, B. (2021): Gender Planning: Architektur, die für alle passt. In: Der Standard, https://www.derstandard.de/story/2000115417936/gender-planning-architektur-die-fuer-alle-passt (erschienen am 07.03.2020).


Ricard, K. (2021): Gegen die Angst: Stadtplanung für Frauen. In: NDR, https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/kulturjournal/Gender-Planning-Stadtplanung-fuer-Frauen,genderplanning104.html (erschienen am 28.10.2020).


Rutkowski, M. (2021): Wie sieht die Stadt aus, in der sich Frauen und Männer ebenso wohlfühlen?. In: Die Welt, https://www.welt.de/icon/iconista/article221422440/Was-ist-Gender-Planning-Gerechte-Stadtentwicklung-fuer-alle-Geschlechter.html (erschienen am 02.01.2021).


Schubert, A (2021).: Rathauskoalition fordert gendergerechte Verkehrsplanung. In: Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-verkehrsplanung-geschlechtergerechigkeit-1.5193198 (erschienen am 02.02.2021)


Schreyögg, F. (2003) Planen für Frauen und für Männer in der Stadt Umsetzung der Gender Mainstreaming Strategie in der räumlichen Planung. Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München, file:///C:/Users/CAD001/Downloads/Dokumentation%20Planen%20(2).pdf.


Stadt Wien (2021): Handbuch "Gender Mainstreaming in der Stadtplanung und Stadtentwicklung", https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/grundlagen/gender/ (Stand 26.02.2021).


UN Women (2021): Gender Mainstreaming. In: UN Women/UN system coordination: https://www.unwomen.org/en/how-we-work/un-system-coordination/gender-mainstreaming (Stand: 26.03.2021).