Alles Neue macht Corona?
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Alles Neue macht Corona?

Überlegungen zur Interdependenz von Epidemien, Architektur und Städtebau

„Licht, Luft und Sonne“- das Motto der Bauhaus-Bewegung mag vielen Großstädtern während des mehrwöchigen Lockdowns als schmerzlich vermisstes Wohn- und Lebensideal erschienen haben. Besonders in urbanen Siedlungsgebieten zeigte sich, ob das eigene Wohnquartier den persönlichen Ansprüchen zur Vereinbarkeit von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Versorgung in Funktionalität und Ästhetik gerecht wird. Dient der Küchentisch als Arbeitsplatz? Wie weit ist der nächste Supermarkt entfernt? Erlauben es Gehwege und öffentliche Plätze, ausreichend Abstand zu wahren?


Schon zu Beginn der ersten Corona-Maßnahmen reflektierten Architekten, Architekturpsychologen und Stadtplaner, inwiefern sich der private und urbane Raum künftig anpassen muss, um den Bedürfnissen seiner Bewohner in Ausnahmezeiten nachzukommen.


Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich die moderne Stadt als Reaktion auf hochansteckende Infektionskrankheiten, wie Thyphus und Cholera, seit Ende des 19.Jahrhunderts herausbildete. Verbreiterte Gassen, großzügige Grünflächen und die Errichtung einer Kanalisation verbesserten in London, Hamburg und Co. vor allem die Lebenssituation der sozio-ökonomisch abgehängten Arbeiterschicht, welche bis ins 20. Jahrhundert hinein in eng bebauten Elendsvierteln leben musste. 1898 entwickelte Ebenezer Howard das Prinzip der konzentrischen aufgebauten Gartenstadt, Le Corbusier veranlasste 30 Jahre später die Aufstellung der „Charta von Athen“, um Aufgaben des modernen Städtebaus zu erfassen. In den 1920er bis 1930er Jahren prägte die Bauhaus-Schule unter anderem die Gestaltungsform von medizinischen Einrichtungen und Nervenheilanstalten, Hygiene stand im Fokus architektonischer Überlegungen. Verwirklicht wurde das Sinnbild „Reinheit“ als lichtdurchflutete Raumgestaltung mit weißen Flächen, Edelstahl und klaren Kanten.


Wie kann krisenfeste Architektur und nachhaltige Stadtplanung im 21.Jahrhundert aussehen? Architekturkritiker Niklas Maack ist überzeugt, dass Menschen mit weniger Platz auskommen als angenommen. Ähnlich argumentieren Architektur-Studenten der UNCC, welche in Multifunktionsräumen mit flexibler Raumstruktur die Zukunft des modernen Wohnens sehen. Die Gastronomie könne, nach dem Vorbild asiatischer Restaurants, abtrennbare Räume schaffen, um Abstände zwischen Gästen sicherzustellen. In Anlehnung hierzu bezieht sich Architekt Jörg H. Gleiter auf das japanische Raumkonzept „Ma“, womit ein leerer Zwischenraum gemeint ist, und welcher Potential für das zukunftsnahe Bauen birgt. Folgt man Doris Kleilein und Friederike Meyer, Fellows des Thomas Mann House, bieten Städte alle Möglichkeiten, um Ausnahmesituationen Herr zu werden. Neben gut ausgebauter Infrastruktur seien Gemeinschafträume sinnvoll, „die man in Absprache mit der Nachbarschaft nutzen kann, sei es für Kinderbetreuung, Quarantäne oder Notfälle wie häusliche Gewalt.“


Maack hingegen stellt die Bedeutung staatlicher Rahmenbedingungen in den Vordergrund: Nur wenn die Politik die Kapitalisierung des Immobilienmarktes verhindere, könne das Bauen neu definiert werden. Dezentralisierung und das Ende von einheitlichen „Wohnkisten am Stadtrand“ seien erstrebenswert. Im Gegensatz zu Maack hält Architekt Jaques Herzog den Rückzug aufs Land für nicht praktikabel, „Das können sich die meisten Menschen gar nicht leisten, und es wäre dramatisch, die Ressource Landschaft und Natur durch die Ausdehnung der Siedlung weiter zu zerstören.“ Umweltaspekte, so zeigt sich in vielen Covid-19-bezogenen Diskussionen, kommen in der modernen Architektur besonders zum Tragen: Jedem Neubau ist eine Umnutzung vorzuziehen, Dachgärten garantieren ein angenehmes Mikroklima, Gebäudedämmung muss mit ökologisch verträglichen Materialien erfolgen. Umweltfreundlich, inklusiv und nicht zuletzt smart, sprich digitale Technologien nutzend, soll die neue Stadt sein.
Das „Neue Bauen 2.0“- es scheint in greifbarer Nähe.